Meinungskrieg auf der Friedensdemo

Sebastian Bach

Am diesjährigen Tag der deutschen Einheit fand in Berlin eine zentrale Friedensdemo statt. Obwohl sie von einem breiten Bündnis organisiert wurde und diesmal auch Die Linke zur Teilnahme aufgerufen hatte, war von Einigkeit nicht viel zu spüren. Als hätten der Ukrainekrieg und der Nahostkonflikt die Gesellschaft nicht ohnehin schon gespalten, zieht sich nunmehr auch ein tiefer Riss durch die Friedensbewegung,

Schon bei der Auftaktkundgebung gab es mehrere parallele Reden, inklusive einem offenen Mikrophon. Einige Beiträge waren inhaltlich durchaus korrekt, nur war es schwer, ihnen akustisch zu folgen. Auf dem anschließenden Demonstrationszug setzte sich die doppelte Beschallung fort, da der Abstand zwischen den Lautsprecherwagen viel zu gering war. Was vom Wagen, der den DKP-Block anführte, zu verstehen war, trieb einem dann aber die Zornesröte ins Gesicht.

Da wurde fälschlich behauptet, Die Linke habe im Bundestag sämtlichen Waffenlieferungen und auch der Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine zugestimmt. Nun kann man ja durchaus die Äußerungen einzelner Linke-Politiker zu Waffenlieferungen kritisieren. Die Linksfraktion hat jedoch alle Waffenexporte ebenso wie Aufrüstungsprojekte und das 100 Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr geschlossen abgelehnt. Was da verbreitet wurde, ist also böswillige Desinformation!

Auf dem Weg zur Abschlusskundgebung an der Siegessäule wurde die Straße streckenweise von gegensätzlichen Demogegnern gesäumt. Links stand eine Gruppe mit Russlandflaggen, die offenkundig für Putins Angriffskrieg war, rechts standen ein paar Antifas, die den Demoteilnehmern vorwarfen, gemeinsam mit Rechtsextremisten zu marschieren. Nazis waren auf der Demo jedoch keine zu sehen und die AfD war explizit ausgeladen.

Doch selbst wenn sich eine Handvoll rechter Quatschdenker unter die Menge gemischt hat, wäre dies kein Grund, daheim zu bleiben. Es wäre nämlich grundfalsch, denen das Friedensthema zu überlassen. Die AfD hat bereits bei den letzten drei Landtagswahlen zahlreiche Wähler hinzugewonnen, indem sie sich als Friedenspartei inszeniert hat, obwohl sie für Aufrüstung, Wehrpflicht und die Glorifizierung des deutschen Militarismus ist. Die AfD muss entlarvt werden und das gelingt nicht, indem man ihr die Straße überlässt! Es war schon bei den Montagsmahnwachen vor 10 Jahren ein Fehler, die offenen Mikrophone Rechtspopulisten und Verschwörungsbloggern zu überlassen und ihnen kein Kontra zu geben. Wer trotz des Rechtsrucks an dieser offenkundig falschen Strategie festhält, ist komplett lost!

Lost waren allerdings auch zahlreiche der Demonstrationsteilnehmer. Egal ob die Redner auf der Hauptbühne Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilten oder die verfehlte Außenpolitik der NATO-Staaten ansprachen, irgendwoher kamen immer Buh-Rufe. Noch schlimmer war es beim Thema Nahost-Konflikt. Wurde der Terrorangriff der Hamas verurteilt, buhten junge Männer mit Palischals und Palästina-Flaggen, wurden die zehntausende toten Zivilisten in Gaza erwähnt, buhten Antideutsche mit Israel-Flaggen. Beiden war gemein, dass ihnen zivile Opfer offensichtlich egal sind. Wie empathielos kann man nur sein?

Die weitaus wichtigere Frage lautet jedoch, was diese Leute überhaupt auf einer Friedensdemo zu suchen hatten? Wer sich auf die Seite einer Kriegspartei stellt, egal ob nun die der Terrororganisation Hamas, der rechtsextremen Regierung Netanjahus, Russlands oder der NATO, kann nicht ernsthaft für Frieden sein! Wenigstens die Hauptredner*innen zeigten diesbezüglich eine relativ klare Haltung.

Zu Beginn sprach Gesine Lötzsch für Die Linke, gefolgt von Ralf Stegner von der SPD. Letzterer kassierte die meisten Buh-Rufe, vor allem weil er sich gegen Russlands Angriffskrieg äußerte. Dabei stellte er sich klar gegen den Kriegskurs seiner Parteigenossen Scholz und Pistorius, was Anerkennung verdient hat. Sahra Wagenknecht vom BSW verteidigte ihn dann auch in ihrer Rede und begrüßte es, dass es in der SPD noch andere Meinungen gibt. Sie selbst bemühte sich um versöhnliche Töne, wobei sie Putins Angriffskrieg ebenfalls als solchen benannte und sich dagegen wehrte, dass jeder, der für Friedensverhandlungen eintritt, als Putinfreund diffamiert wird.

Nun kann man vom BSW halten, was man will. Es ist definitiv keine linke Partei, sondern eher eine Mischung aus SPD und CDU mit einigen sehr konservativen Ansichten. Den Friedenswillen muss man dem Bündnis jedoch zugestehen und den gibt es sogar in Teilen der Union. So sprach vor Wagenknecht der CSU-Politiker Peter Gauweiler, der sich bezüglich des Ukraine-Krieges komplett gegen die Linie seiner Partei stellte. Es ist schon seltsam, wenn Linke einem CSU-Mitglied applaudieren, aber ein Großteil der Kundgebung war schließlich doch von gegenseitigem Respekt geprägt.

Ausnahmen bildeten natürlich die bereits erwähnten Hamasanhänger, Antideutschen und Putintrolle der DKP. Was die betrifft, wäre es besser gewesen, Nationalflaggen auf der Demo zu verbieten, da diese ein zu großes Konfliktpotential boten. Neben Russland-, Ukraine-, Palästina- und Israel-Fahnen waren auch einige Deutschlandflaggen zu sehen, die besonders irritierten. Immerhin gehört die BRD zu den größten Rüstungsexporteuren und ist auf dem besten Wege, „kriegstüchtig“ zu werden. Haben sich mit diesen Fahnen vielleicht AfD-Anhänger zu erkennen gegeben?

Noch mehr Nationalflaggen gab es auf einer Gegenkundgebung, die folgerichtig für Waffenlieferungen eintrat. Das Meer aus blau-gelben Flaggen stand wohl kaum für Solidarität, wo die Gegendemonstranten doch für die Fortführung des Krieges in der Ukraine eintraten. Außerdem war neben einer Deutschlandfahne auch eine US-Flagge auf der Kundgebung der Kriegsbefürworter zu sehen, womit klar sein dürfte, wer diese Aktion initiiert hat. Und wer war noch auf der anderen Seite des Absperrzauns vertreten? Während Die Linke, BSW und sogar Teile von SPD und CSU an der großen Friedenskundgebung teilnahmen, waren die Grünen als Einzige mit einem Stand auf der Seite der Kriegshetzer vertreten. Welch Schande für eine einstige Friedenspartei, aber das sind die Grünen ja schon seit dem Jugoslawienkrieg nicht mehr. Rudi Dutschke würde sich im Grab umdrehen!

Das Fazit, dass sich aus dem 3. Oktober ziehen lässt, ist wahrlich kein Gutes. Es stehen sich nicht nur Kriegstreiber und Friedensaktivisten unversöhnlich gegenüber. Innerhalb der Friedensbewegung gibt es ebenfalls unüberwindbare Gräben. Und das nicht nur zwischen Linken und Rechten, welche die Bewegung für sich vereinnahmen wollen. Nein, auch unter den sich als links verstehenden Kräften gibt es Gruppierungen, welche für gegensätzliche Kriegsmächte Partei ergreifen und damit eigentlich keine Friedensaktivisten mehr sind. Insbesondere die DKP ist voll auf Linie des russischen Imperialismus, sodass man das „K“ eigentlich nur mehr als „kapitalistisch“ oder „kremltreu“ lesen kann. Durch perfide Desinformation versuchen sowohl die Stalinisten wie auch Antideutsche, die Friedensbewegung zu spalten, was angesichts der wachsenden Weltkriegsgefahr an Unvernunft kaum zu überbieten ist!

Die Mehrheit der Bevölkerung scheint diese Gefahr aber ohnehin nicht wahrzunehmen. Laut Polizei haben nur rund 10.000 Menschen an der Friedensdemo teilgenommen und selbst wenn man die von den Veranstaltern genannte Zahl von 42.000 zugrunde legt, sind das verdammt wenige. Erst recht, wenn all jene abgezogen werden, die im Grunde gar nicht an Frieden interessiert sind, sondern nur am Sieg der von ihnen bevorzugten Seite. Ist die Menschheit komplett lost? Braucht es wirklich erst einen 3. Weltkrieg, um die Menschen zur Vernunft zu prügeln? Der 3. Oktober stimmt jedenfalls eher nachdenklich, als dass sich daraus Hoffnung für eine friedlichere Zukunft schöpfen ließe.